Mittwoch, 30. Dezember 2009

Weihnachten

[Christmas and adventures in Bavaria. For those of you who don't read German I will try to put up an English version at some point. Some photos can be found here]

Zu Weihnachten und den Feiertagen war ich in Bayern und dann in Frankfurt bei verschiedenen Freunden von der Uni in Colorado. Es wurde viel gequatscht (und gestritten), gegessen, getrunken (Tee, nicht Alkohol), gespielt (hauptsächlich Welteroberungsversuche), und mittendrin wurden auch einige Stadtbesichtigungen gemacht. Ich glaube, es wird nicht so ganz leicht sein, sich wieder im Unileben zurechtzufinden. Vor allem war die Möglichkeit, sich über die Erfahrungen im Ausland austauschen zu können, unheimlich wichtig. Aber ich werde auch einfach die Gemeinschaft vermissen. Leute um mich zu haben. Ich bin sonst viel zu oft allein.

Trotzdem ist es schön, wieder im eigenen Bett zu schlafen.

Ich kam zuerst in München an, nach fünf Stunden Bahnfahrt und eine Stunde Verspätung im kalten Bahnhof. Wir liefen für einen halben Tag in München herum, während Martin sich über das Leben in Frankreich schimpfte, dann gingen wir nach Altötting, wo Martins Eltern, vier Geschwister, und eine Handvoll Katzen auf uns warteten. In den folgenden Tagen ging es nach der Burg zu Burghausen ("die längste Burg Europas"), die an der österreichischen Grenze liegt, und nach Herrnchiemsee und dem prachtvollen Abbild des Versailles von König Ludwig II. Beim letzteren Ausflug hatten wir einen kalten aber ungewöhnlich sonnigen Tag, der einen wunderbaren Blick auf den Alpen bot.

Obwohl man sich bemühte, Hochdeutsch zu reden, war der Akzent trotzdem anfangs leicht fremdartig für mich. Aber nach ein Paar Tage fühlte ich mich richtig einheimisch und die Aussprache kam mir derart normal vor, dass einige Tage später die Standardsprache in Frankfurt seltsam verblasst und tonlos klang. Wenn ich länger geblieben wäre, hätte ich wahrscheinlich angefangen, die Sprechweise selber leicht anzunähern. Auf jeden Fall habe ich mir einige Charakteristiken gemerkt (einzelne Wörter, z.B. die Zahlen: 'oan' für 'eins', 'zwoa' für 'zwei', 'fuchsig' für 'fünfzig'; das fast unentbehrliche Wort 'heuer' - 'nowadays' - sowohl als Adjektiv als auch Adverb verwendbar; die Sprachpartikel 'gäi', die am Ende eines Satzes angehängt wird und etwas wie 'you know' oder 'nicht wahr' bedeutet). Ich habe auch amüsiert beobachtet, wie der Martin im Laufe der Tage allmählich immer bairischer sprach.

Auf der Fahrt zwischen München und Frankfurt (ich lies Stanzels "Theorie des Erzählens") sagte der Sitznachbar im Vorübergehen plötzlich zu mir, das Buch von Martinez sei viel besser. Ich hätte unbedingt fragen sollen, ob er Literaturwissenschaftler sei und an welcher Uni. Vielleicht hätte ich etwas nützliches lernen können.

Frankfurt war fast eine andere Welt. Den Beinamen 'Mainhatten' für die Großstadt kenne ich seit der Schulzeit, aber ich hatte irgendwie nicht richtig begriffen, wie passend dieser Name ist. Nicht nur wegen der Wolkenkratzer, oder weil die große Banken dort sind. Auch der Stil ist ähnlich.

Ich kam gegen Mittag an, wir fuhren nach Königstein außerhalb der Stadt und gegen 7 ging die Cocktailparty los. Am anderen Morgen machten wir eine Stadtbesichtigung. Zwischen den modernen Gebäuden steht halbversteckt das Goethehaus - irgendwie hatte ich gar nicht gewusst, dass Goethe in Frankfurt geboren wurde - wiedergebaut nach dem Krieg und sehr nett konzipiert, wenig museumhaft, sondern ausgelegt, als ob die Familie jederzeit wieder nachhause kehren könnte.

Bei der Party war auch eine andere Amerikanerin dabei. Sie meinte, mein Englisch habe einen deutschen Akzent. Das hat mich etwas überrascht, ich kann andere Leute schlecht nachahmen, daher ist mir die amerikanische Aussprache im Englischen bisher immer deutlich erhalten geblieben, auch wenn ich, wie jetzt, häufig auf deutsch rede. Aber es mag wohl auch sein: mein Englisch ist anders als sonst. Ich muss mich richtig konzentrieren, wenn ich auf Englisch reden will, was den Sprachrhythmus schon verändert. Ich würde vermuten, dass ihr Eindruck von Fremdheit hauptsächlich daran liegt, dass ich die Füllwörter und Denkgeräusche (ja, ähm, hmm) meistens auf Deutsch mache.

Es gibt aber vielleicht auch einen indirekten Einfluss vom Deutschen in meiner Sprachgebrauch. Ich hab nämlich in der letzten Zeit bei mir einen Tendenz gemerkt, mich auf Englisch so auszudrücken, wie es hier üblich wäre. Das soll man nicht mißverstehen: es ist nicht als eine böse Kommentar auf 'die Deutschen, die kein richtiges Englisch können', gemeint. Im Gegenteil liegt eher eine Art Scham oder Feingefühl dahinter, ein Gefühl, dass man sich anpassen soll, es wäre irgendwie Großtuerei, auf meinem (wie es mir manchmal vorkommt, ungehobelten) amerikanischen Englisch zu beharren. Es hat auch nichts mit grammatischen Korrektheit zu tun. Ich rede einfach etwas vorsichtiger, wähle manchmal andere Wörter, vermeide bestimmte Ausdrücke.

Gestern fuhr ich dann wieder nach Göttingen, gerade rechtzeitig, um hier einen verschneiten Silvester zu feiern. Und wieder um die über Weihnachten vernachlässigten Lektüren und viel zu lange aufgeschobenen Seminararbeiten zu kümmern.

Sonntag, 6. Dezember 2009

Skaz

Ich lese gerade Hundejahre und bin aufs neue von dem merkwürdigen Grass'schen Stil beeindrückt. Den Begriff 'skaz' fällt mir hier ein. Ich weiss nicht, ob man seine Werke jemals so bezeichnet hat. Vielleicht greife ich zu weit. Aber es passt irgendwie ganz gut.

Vor einigen Semestern versuchte ich den russischen Begriff für ein Referat zu erklären. Da die typische Beispiele (Leskow, Gogol, Zoshchenko) dem Nicht-Slawisten eher wenig bekannt sind, wollte ich Autoren aus dem englisch- oder deutschsprachigen Raum erwähnen, aber fand mich ziemlich in Verlegenheit, gute Exemplare zu finden. Huckleberry Finn oder Catcher in the Rye kämen dabei infrage, aber keiner von den beiden scheint mir ganz zuzutreffen. Nach meiner Auffassung des Begriffs ist skaz nämlich nicht bloß Dialektliteratur. Die Orientierung auf mündliche Erzählformen ist ein wichtiges Bestandteil, aber nicht entscheidend. Obwohl es mir etwas schwierig fällt zu beschreiben, warum. Was fehlt ist eine gewisse Stilisierung, ein spürbarer Kontrast zwischen der Welt des Erzählers und der des Autors und Adressats.

Bei Bachtin habe ich neulich eine Stelle gefunden, die dieses Merkmal von skaz ganz gut beschreibt -- auch wenn der Begriff in der deutschen Übersetzung nicht direkt vorkommt. Ich kann es mir aber schwer vorstellen, daß er hier nicht an skaz dachte. Es wäre allerdings interessant zu sehen, was im Originaltext steht.
...Eine ganz andere Bedeutung erlangen fiktiver Autor und Erzähler dort, wo sie Repräsentanten eines besonderen Standpunktes gegenüber der Welt und den Ereignissen, besonderer Wertungen und Intonationen sowohl in bezug auf den Autor, sein tatsächliches direktes Wort, als auch auf das 'normale' literarische Erzählen und auf die Sprache sind.[...]In jedem Fall werden dieser besondere fremde Horizont, dieser besondere fremde Standpunkt zur Welt vom Autor wegen ihrer Produktivität bevorzugt, weil sie einerseits den Gegenstand der Abbildung in ein neues Licht stellen (in ihm neue Aspekte und Momente entdecken), andererseits den 'normalen' literarischen Horizont, vor dem die Besonderheiten der Erzählweise des Erzählers rezepiert werden, in neuer Weise ausleuchten.

[...]in diesem Fall liegt ein 'nicht-direktes Sprechen', ein Sprechen nicht in einer Sprache, sondern durch einer Sprache, ein fremdes sprachliches Medium vor, und daher auch eine Brechung der Intentionen des Autors.

Der Autor verwirklicht sich und seinen Standpunkt nicht nur im Erzähler, in dessen Rede und dessen Sprache...sondern auch im Gegenstand der Erzählung, einem Standpunkt, der vom Standpunkt des Erzählers verschieden ist. Hinter der Erzählung des Erzählers lesen wir eine zweite Erzählung - die Erzählung des Autors über dasselbe, wovon der Erzähler erzählt, und außerdem über den Erzähler selbst.

Michail M. Bachtin. "Das Wort im Roman". Aus: Die Ästhetik des Wortes. Übers. Rainer Grübel und Sabine Reese. Suhrkamp. S. 202-3.
Bei Dialektliteratur -- ich denke hier an den schottisch-geprägten Sunset Song von Lewis Grassic Gibbon oder die schweizerische Dialekte im Quatemberkinder von Tim Krohn, aber die Erzählungen von Theodor Storm wären auch gute, wenn weniger ausgeprägte Beispiele -- gibt es diese Spannung einfach nicht. Der Erzähler taucht völlig in der Welt des Erzählten ein. Sie ist ihm nicht fremd. Das Blick 'nach außen' fehlt.